So engagiert sich NRWEhrenamtAtlas 2024

Drei Personen stehen nebeneinander auf einer Bühne vor einem Rednerpult.
V.l.n.r.: Stephanie Krause (Netzwerk Bürgerschaftliches Engagement NRW), Andreas Kötter (Geschäftsführer Westlotto) und Prof. Dr. Andrea Walter

Drei Fragen an Prof. Dr. Andrea Walter zum Thema Ehrenamt

Der EhrenamtAtlas NRW von Westlotto ist vergangene Woche zum zweiten Mal nach 2022 erschienen. Sie haben die Studie erneut wissenschaftlich begleitet: Was ist das Besondere am EhrenamtAtlas und welche zentralen Entwicklungen zeigen sich im Engagement in NRW?

Andrea Walter: Das Besondere am EhrenamtAtlas ist, dass er uns repräsentative Zahlen zum Ehrenamt auf der Ebene aller 53 Kreise und kreisfreien Städte in NRW bietet. Diese Daten gibt es meines Wissens in anderen Bundesländern nicht. Die Kommunen können anhand der Zahlen sehen, wie sich das Engagement bei ihnen vor Ort nach Engagementfeldern und Altersgruppen verändert, welche Rahmenbedingungen sich Engagierte wünschen und welche Handlungsbedarfe daraus abzuleiten sind.

Für NRW zeigt sich, dass das Ehrenamt insgesamt stabil geblieben beziehungsweise sogar leicht gestiegen ist von 50 % auf 54 %. Die geleisteten Stunden sind jedoch seit 2022 etwas gesunken, von durchschnittlich 214 auf 208 Stunden pro Jahr.

Dass Engagierte weniger Zeit aufwenden, beobachten wir deutschlandweit: So ist es einerseits sehr erfreulich, dass der überwiegende Teil der Menschen in unserem Land gerade in diesen turbulenten Zeiten bereit ist, sich für das gesellschaftliche Miteinander zu engagieren. Nur jeder Zehnte in NRW sagt, gemäß des EhrenamtAtlas, dass er sich hier nicht in der Verantwortung sieht. Doch neben Beruf, Familienpflichten und Hobbies bleibt bei vielen eben nur ein begrenztes Zeitbudget für ein potenzielles Ehrenamt. Deshalb gilt es, Engagierten möglichst flexible Angebote zu machen. Natürlich funktioniert das nicht bei jedem Ehrenamt, so lassen sich etwa Brände nicht von Zuhause löschen. Gerade für zeitaufwendige Tätigkeiten, wie beim THW oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, sollten deshalb innovative Anreize diskutiert werden, zum Beispiel ein Bonus für die Rente.

 

Die Veröffentlichung des EhrenamtAtlas hat letzte Woche medial sehr große Wellen geschlagen. Sie waren am Tag der Pressekonferenz im WDR 5 Morgenecho, mittags im Tagesgespräch und abends in der WDR Lokalzeit Ruhr. Wie ist das große Interesse zu erklären? 

Andrea Walter: Zum Ehrenamt hat jeder einen Bezugspunkt, weil er oder sie gegebenenfalls selbst engagiert ist oder von einem Ehrenamt profitiert. Auch wir an der Hochschule tun das. So ist es nicht selbstverständlich, dass sich Studierende finden, die bereit sind, auch neben ihrem Studium an Gremien wie den Senatskommissionen oder den Fachbereichsräten ehrenamtlich mitzuwirken.

Dass der EhrenamtAtlas dieses Mal so große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist meines Erachtens mit den aktuellen gesellschaftlichen Zeiten zu erklären. Welche Rolle spielt heute ungebundenes, informelles Engagement und gibt es immer noch ausreichend Menschen, die bereit sind, längerfristig ein Amt auszuüben, um etwa die über 120.000 Vereine in NRW funktionsfähig zu halten?

Dies gilt vor allem im Kontext der angespannten Haushaltslage in vielen Kommunen und Landesbehörden. Ohne ausreichend Fachkräfte und auskömmliche finanzielle Ressourcen wird man einige Angebote und Leistungen zukünftig vielleicht nicht mehr wie gewohnt aufrechterhalten können. Schnell kommt dann die Idee, Aufgaben an Ehrenamtliche zu übertragen. Und in der Praxis ist es manchmal gar nicht so leicht zu sagen, wann Engagement keine ergänzende Funktion mehr hat, sondern bereits staatliche Leistungen substituiert. Man denke nur an die Tafeln, Dorfläden oder die Pflichtdienstdebatte. Ich glaube, dass die gesellschaftliche Diskussion darüber, wie freiwillig Engagement in Zeiten von Fachkräftemangel und knappen öffentlichen Kassen noch sein kann, gerade erst begonnen hat. Dies ist ja auch Thema beim nächsten Symposium für Personalmanagement im November.

 

Hat der EhrenamtAtlas auch Implikationen für die Lehre an unserer Hochschule? 

Andrea Walter: Auf jeden Fall, auch wenn nur ein sehr geringer Teil unserer Absolventinnen und Absolventen aus den Verwaltungsstudiengängen später in der kommunalen oder staatlichen Engagementförderung tätig sein wird. Im Verhältnis zu anderen Tätigkeitsfeldern sind die Stellen hier sehr überschaubar und in Zeiten knapper Finanzmittel ist tendenziell zu befürchten, dass auch die Engagementförderung als freiwillige kommunale Aufgabe mancherorts auf den Prüfstand muss. Aber interessant ist ja, dass unsere Daseinsvorsorge historisch bedingt in weiten Teilen auf dem Ehrenamt basiert. Die allermeisten kommunalen Bereiche haben heute Berührungspunkte zu Engagierten. Allen voran der Bereich Brandschutz und Katastrophenhilfe, der in NRW zu über 90 % von Ehrenamtlichen sichergestellt wird. Deutlich an Relevanz zugenommen hat das Engagement etwa in den Bereichen Integration und Bildung.

Viele unserer Studierenden werden in ihrem Berufsleben also einmal Bezüge zu Engagierten haben. In der Lehre (zum Beispiel in Governance) gilt es deshalb, das Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamt zu reflektieren und aktuelle Entwicklungen aufzuzeigen: Wie geht man mit antidemokratischem Verhalten im Engagement um? Welche Rahmenbedingungen erwarten Engagierte? Die Bürokratie ist gemäß des EhrenamtAtlas eine zentrale Herausforderung.

Ich würde mich sehr freuen, wenn unsere Studierenden im Bachelor- und Masterstudium in ihren künftigen Positionen, Engagierte nicht als Lückenbüßer wahrnehmen, die Arbeit abnehmen, sondern als Ideengeber und Partner und dass sie pragmatische Lösungen im Umgang mit bürokratischen Anforderungen finden, wo immer es geht.

Weitere Infos

Prof. Dr. Andrea Walter lehrt am HSPV-Studienort Dortmund die Fächer Soziologie und Politikwissenschaft und forscht zu bürgerschaftlichem Engagement, lokaler Demokratie und Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft – aktuell unter anderem in Kooperation mit dem Kreis Lippe im BMBF-geförderten Projekt „SROI - Die Sicherung des Ehrenamts für die Zukunft im ländlichen Raum“ (Laufzeit bis 31. Dezember 2024). Erste Ergebnisse wurden Ende April dieses Jahres vorgestellt.

mehr erfahren